«Wenn das Handy nicht dabei ist, kann es auch nicht klingeln bei mir»

Bild von Cristiano im Führerstand
Cristiano Cioni

Cristiano Cioni hat ursprünglich eine Lehre als Automechaniker absolviert mit einer Zusatzlehre als Kältemonteur. 2005 wechselte er zur Bahn. Bei der Thurbo AG liess er sich zum Lokführer ausbilden und arbeitet nun seit 2007 bei der SBB, aktuell im Depot Romanshorn.

Cristiano Cioni ist 51-jährig und hat die letzten 17 Jahre einige Veränderungen in seinem Berufsumfeld erlebt. Wie er damit umgegangen ist und wie er es schafft, sich von der heutigen Informationsflut nicht mitreissen zu lassen, erzählt Cristiano im Interview.

Cristiano, du arbeitest nun seit rund 17 Jahren als Lokführer im Personenverkehr. Wie hat sich deine Arbeit verändert in den letzten Jahren?

Die grösste Veränderung hat sicher mit den Arbeitsmitteln zu tun. Früher habe ich jeweils sieben Ordner voll mit Betriebsvorschriften, Bedienungsanleitungen, Informationen zu Fahrzeugen und Strecken und dem Fahrplan mit mir rumgetragen. Meine Tasche war damit rund 12 Kilogramm schwer. Heute habe ich ein Handy und ein iPad und komme mit einer kleinen Umhängetasche aus.

Eine grosse Erleichterung, im wahrsten Sinne des Wortes also?

Ja und nein. Natürlich ist es ein grosser Vorteil, dass ich keine Unterlagen mehr mitschleppen muss. Die modernen Arbeitsgeräte haben aber auch Nachteile. So muss ich mir Zeit nehmen, um Updates runterzuladen und mich einzuarbeiten. Jedesmal, wenn ich eine App im Griff habe, gibt es ein Update und ich muss mich wieder neu finden in der App. Das war früher sicher einfacher: Da habe ich einfach ein neues Blatt erhalten und es an der entsprechenden Stelle eingeordnet.

Du hast die Zeit angesprochen. Kannst du neue Informationen während deiner Arbeitszeit lesen?

Ja, uns werden jeden Tag vor Dienstantritt zehn Minuten pauschal vergütet. Diese reichen sicher nicht immer aus, um sich in neue Unterlagen einzulesen. An manchen Tagen gibt es dafür nichts zu lesen. Die zehn Minuten reichen mir also im Grossen und Ganzen.

Wie hat sich die Menge der Informationen in den letzten Jahren verändert?

Es kommen schon viele Infos, viele Mails. Vor allem rund um den Fahrplanwechsel würde ich schon von Informationsflut sprechen. Dann wird es aber auch wieder etwas ruhiger. Aber im Vergleich zu früher erhalte ich deutlich mehr Informationen. Und die Vorschriften ändern viel öfter oder es werden Neue erlassen.

Und wie gehst du mit der steten «Berieselung» um?

Man muss das über sich ergehen lassen. Früher haben wir ja auch Informationen erhalten und mussten sie lesen. Einfach der Kanal war ein anderer. Da hingen Neuerungen mehrere Wochen am Anschlagbrett und wir liefen jeden Tag daran vorbei. Heute lese ich die zahlreichen Mails durch, sie rutschen im Posteingang runter und gehen ein wenig vergessen.

Privat habe ich weniger Berieselung und ich gehe auch anders damit um. Das Handy ist nicht immer dabei und ich werde auch nicht nervös, wenn ich eine Nachricht bekomme, die ich gerade nicht lesen kann. Bei meinem Sohn ist das etwas anders (lacht). Aber ich sehe da auch ein gesellschaftliches Problem. Früher hat man kurz telefoniert, heute schreiben wir uns 50 Nachrichten, um dasselbe zu besprechen. Das gibt doch automatisch mehr Stress und Unruhe.

Nebst den zahlreichen Informationen, die du per E-Mail und Apps erhältst, hast du ja auch noch ein Diensthandy. Wie erreichbar bist du?

Während meinen Diensten habe ich das Handy natürlich bei mir und bin grundsätzlich erreichbar. Es kommt schon auch vor, dass ich in meiner Freizeit angerufen werde. Wenn ich den Anruf höre, dann nehme ich ihn entgegen. Sonst halt nicht. Aber es ist hier sicher auch ein Geben und Nehmen, denn oft geht es bei den Anrufen auch ums Abtauschen von Diensten. Und da bin ich vielleicht ja auch mal froh, wenn ich einen Kollegen oder eine Kollegin anrufen kann.

Und wie erreichbar solltest du aus Sicht des Arbeitgebers sein?

Der Wunsch ist sicher vorhanden, dass wir rund um die Uhr erreichbar sind. Die Regel ist aber die, dass wir bis drei Stunden vor Dienstantritt über Dienstplanänderungen informiert werden. Und entsprechend in dieser Zeit auch erreichbar sind. Wenn sich daran nichts ändert, kann ich gut mit der Situation leben, wie sie jetzt ist.

Der Wandel durch neue Arbeitsmittel, aber auch privat, kann zuweilen auch Druck auslösen, mit den Entwicklungen mitzuhalten. Spürst du diesen Druck?

Beruflich spüre ich keinen so grossen Druck, da ich nach wie vor einen Zug auch führen kann ohne alle diese Geräte. Denn am Fahren selber hat sich in den letzten Jahren ja nichts fundamental verändert. Ausser, dass neue Fahrleitsysteme eingeführt wurden. Funktionieren diese nicht, nehme ich das gelassen, denn darum müssen sich andere kümmern.

Du scheinst sehr pragmatisch mit Veränderungen umzugehen...

Neuerungen bringen immer Positives und Negatives mit sich. Ich bin nicht der Typ Mensch, der früher alles besser fand. Früher wurden Lokführer beim Kohle schaufeln dreckig. Mit der Modernisierung hat sich das geändert und ich bekomme höchstens mal ein wenig schmutzige Finger...

Aber der Wandel hat sicher auch Nachteile. So ist heute alles viel schneller und unpersönlicher. Früher musste der Vorgesetzte warten, bis ich da war, um eine Anpassung im Dienstplan mit mir und meinen Kolleg:innen zu besprechen. Heute schreibt er ein E-Mail an alle und informiert so innert kürzester Zeit. Aber auch weniger persönlich.

Der persönliche Kontakt ist ein gutes Stichwort. Hat sich der Austausch mit deinen Kolleginnen und Kollegen verändert in den letzten Jahren?

Der geschäftliche Austausch läuft weiterhin über den Pausenraum. Und da hat sich wenig verändert – wer den Kontakt sucht, findet ihn hier, wer eher für sich sein will, macht das weiterhin. Allerdings merke ich einen Unterschied bei den Generationen. Während die älteren Semester eher miteinander schwatzen, sitzen die Jüngeren öfters an ihrem Handy, haben Kopfhörer im Ohr und beteiligen sich weniger am Austausch. Aber da sind wir wohl wieder beim gesellschaftlichen «Problem».

Als Lokführer bist du viel alleine unterwegs. Man läuft sich mal über den Weg, dann längere Zeit nicht mehr. Aber auch hier sehe ich eine Veränderung zu früher. Heute kann ich meine Arbeitsgeräte zu Hause updaten, wenn ich will. Noch vor wenigen Jahren musste ich dafür vor Dienstantritt jeweils ins Depot und habe dabei immer wieder Kolleginnen und Kollegen angetroffen. Vieles ist heute unpersönlicher.

Cristiano zeigt sich im Gespräch offen für technische Neuerungen und erzählt, dass er bereits 1994 sein erstes Handy hatte. Er probiert aus, ohne Angst, etwas kaputt zu machen. Jedoch bemerke er insbesondere bei der älteren Generation ab 60 Jahren oft eine grössere Hemmschwelle. Viele würden sich nicht trauen, Digitales einfach mal auszuprobieren.

Ihm sei wichtig, mit der Zeit zu gehen, um den Anschluss nicht zu verpassen. Allerdings räumt Cristiano ein, dass es mit zunehmendem Alter nicht immer einfach ist, am Ball zu bleiben. Er lasse sich aber auch mal von seinem Sohn oder jüngeren Kolleg:innen etwas zeigen.

Cristiano, meine letzte Frage. Wie digital lebst du privat?

Ich habe alles, was man heute so haben muss: einen Laptop, ein Handy und ein Zuhause mit Internet. Es vereinfacht mir grundsätzlich das Leben. Auch bei den Sozialen Medien bin ich dabei, muss aber schauen, dass ich hier weniger konsumiere, man verliert schon viel Zeit damit.

Generell versuche ich, bewusst mit den Geräten umzugehen. Mein Handy bleibt während Ferien beispielsweise zu Hause. Wenn es nicht dabei ist, klingelt es auch nicht bei mir. (lacht)

Cristiano in Uniform
Cristiano in Uniform

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