Mehr Rückschritt als Fortschritt: Einblick in einen Arbeitsalltag am Verkaufsschalter

SBB Reisezentrum
SBB Reisezentrum / «© SBB CFF FFS»

Christoph Fischer ist seit über 30 Jahren Reiseberater bei der SBB in Basel. Seit 2015 nur noch zu 50%. Die anderen 50% seines Pensums arbeitet er im Geldwechsel der SBB. Christoph steht technischen Neuerungen grundsätzlich offen und positiv gegenüber.

In all den Jahren hat er sehr viel Wandel mitgemacht und steht Red und Antwort dazu im Interview.

Christoph, wie hast du die letzten Jahrzehnte deiner Arbeit als Reiseberater erlebt?

Die Arbeit hat sich sehr stark verändert, vor allem auch auf der technischen Seite. Seit Jahren kommen immer neue Programme dazu, die wir für unsere Arbeit nutzen und die uns Verbesserungen bringen sollen. Früher war dies auch so: Jeder technische Fortschritt war ein echter Fortschritt für unsere Arbeit. Heute bieten die zahlreichen Systeme aber kaum je ein Mehrwert, weder für uns Verkäufer:innen noch für die Kundschaft. Viel hat sich verkompliziert, insbesondere auch beim Ticketverkauf für Reisen ins Ausland.

Ich schaue meistens den ganzen Tag in den Bildschirm, und viel weniger ins Gesicht der Kundinnen und Kunden. Das ist sehr ermüdend.

Hast du ein Beispiel dafür?

Als Fasnächtler muss ich vielleicht etwas überspitzt antworten, aber es hat schon etwas Wahres wenn ich jeweils erzähle, dass ich 1989 ein Zugbillet von Basel nach Teheran in zwei Minuten verkauft habe, und heute wesentlich länger brauche, um ein simples Ticket nach Paris zu buchen. Positive Verkaufserlebnisse sind im Gegensatz zu früher viel weniger geworden, nicht zuletzt auch, weil einfache Reisen oft selber gebucht werden und nur die komplizierten Anliegen bei uns landen.

Auch war ich früher selber für Fehler verantwortlich und konnte sie auch selber korrigieren, in dem ich z.B. bei einem falsch gedruckten Ticket einfach noch einmal von vorne begonnen habe. Heute läuft alles über ein System, bei einem Fehler kann ich nicht einfach rasch korrigieren, sondern muss darauf warten, dass mir das System antwortet. Das ist zeitintensiv und hinterlässt auch ein Gefühl des Ausgeliefertseins.

Wo liegt deiner Meinung nach denn das Problem?

Das Problem ist, dass wir sehr viel Zeit und Energie aufwenden, oder eher verschwenden, um die Kundenanfragen zu bearbeiten. Ein grosses Thema ist sicher, dass viele Programme neu dazukommen, aber kaum je eines verschwindet. Einige Systeme sind seit über 20 Jahren in Betrieb. Die Komplexität nimmt rasant zu. Wenn ich bei Arbeitsbeginn alle Programme öffne, die ich brauche, um die Kundenwünsche abzudecken, habe ich 14 Fenster offen. Dazu gehört auch der Fahrplan, Verspätungsanzeigen und vieles mehr. Fallen einzelne Systeme aus, funktioniert gar nichts mehr.

Eigentlich sollten die Systeme auch agil sein und Fehler rasch behoben werden können. Aber das Gegenteil ist der Fall: Änderungen an einzelnen Programmen dauern oft sehr lange.

Christoph Fischer am Schalter
Christoph Fischer am Verkaufsschalter

Die ganze Welt ist ja komplexer geworden, da geht es wohl nicht einfacher...

Das glaube ich nicht. Unser Reisebüro in Basel pflegt einen Austausch mit dem Bahnhof Frankfurt und ich hatte die Möglichkeit, für drei Monate dort zu arbeiten und einen Einblick zu gewinnen. Ich habe dieses Angebot gerne angenommen und festgestellt, dass ich bereits am ersten Tag alles verkaufen konnte, da in Frankfurt mit nur einem System gearbeitet wird, das mit allen anderen verknüpft ist. Der Kollege, der für mich von Frankfurt nach Basel gekommen ist, hatte drei Monate lang jemanden an der Seite, weil unsere Arbeit einfach zu kompliziert ist...

Oft ist es auch einfacher, über andere Bahnen wie die SNCF in Frankreich oder die Deutsche Bahn Tickets zu buchen, als kompliziert über die SBB. Das finde ich sehr problematisch, denn ich möchte unsere Kundinnen und Kunden zufrieden stellen und sie nicht einfach an ein anderes Unternehmen verweisen.

Siehst du denn Lösungen für diese Komplexität?

Vielleicht müsste man einfach mal alle Systeme abstellen und von null beginnen, alles Nötige neu aufzubauen. Wir haben unsere Probleme schon so oft gemeldet, aber es passiert einfach nichts. Jede und jeder sieht immer nur ihren oder seinen eigenen Arbeitsbereich und kann sich damit schwer in die Probleme einfühlen. Vielleicht ist das Verkaufspersonal einfach auch zu leise und wird im Betrieb zu wenig wahrgenommen.

Ein Aspekt ist aber auch, dass aufgrund von Klimaüberlegungen wieder mehr Menschen auf die Bahn umsteigen, was an sich ja erfreulich ist. Der Aufwand für uns Verkaufspersonen wird dadurch aber nicht geringer zumal die SBB mit der Ressourcenplanung hinterherhinkt. Hier besteht sicher auch Handlungsbedarf.

Gibt es denn auch positive Seiten am Wandel in deinem Arbeitsgebiet?

Alles, was im CASA Programm mit dem Swisspass zusammenhängt, funktioniert meistens super. Und die Dienstleistungen rund um General- und Halbtaxabonnemente sind sehr unkompliziert.

Ausserdem arbeite ich ja auch noch zu 50% im Geldwechsel, wo es weniger Probleme gibt.

Was läuft im Geldwechsel besser?

Ich habe grundsätzlich schon mal mehr Zeit für die Kundschaft und arbeite mit wesentlich weniger Systemen. Das Western-Union-Programm ist sehr kunden- und mitarbeiterorientiert. Wenn dort etwas nicht funktioniert, bin ich in der Regel selber dafür verantwortlich. Das System hat sich in den letzten Jahren auch kontinuierlich verbessert. Auch das Geldwechsel-Programm ist benutzerfreundlich und einfach in der Handhabung. Das hat mir auch der Zukunftstag gezeigt, an dem ein 13-jähriger Jugendlicher bereits ziemlich selbständig damit umgehen konnte.

Allen Widrigkeiten zum Trotz arbeitest du schon seit Jahrzehnten am Schalter...

Ja, ich bin auch stolz, dass ich für die SBB arbeiten darf.

Wie schaffst du es denn, die Arbeit zu meistern? Hast du Tipps für andere Verkaufskolleg:innen?

Technisch versuche ich möglichst oft mit Shortcuts auf einzelnen Programmen zu arbeiten. Und mir hilft es, dass ich gut multitasken kann. So bereite ich schon mal etwas anderes vor, wenn eine Aktion in einem System länger dauert.

Persönlich bemühe ich mich auch, das Beste aus der Situation zu machen. Aber das braucht Energie. Ich bin jetzt 56-jährig und sehe, wie viele meiner jüngeren Kolleginnen und Kollegen weiterziehen und sich eine neue Arbeit suchen.

Schliesslich hilft auch Galgenhumor. Wir müssen uns auch eingestehen, dass die Ineffizienz der Systeme unsere Arbeitsplätze sichert. *lacht*

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